"Make Me Feel" - Zwischen Liebe und Traumwelten


Was zunächst wie ein klassisches Liebesdrama wirkt, entfaltet sich in "Make Me Feel" zu einer packenden Reise durch Traumwelten, Identitäten und die Tiefen menschlicher Nähe. Timur Örge und Michael David Pate liefern ein mutiges, originelles Stück deutsches Independent-Kino, das nicht nur berührt, sondern Erwartungen spielerisch bricht und zeigt, wie viel Kreativität, Fantasie und Intensität in heimischem Erzählen stecken.

  

Bereits in den ersten Minuten wird klar, dass "Make Me Feel" alles andere als ein gewöhnliches Drama ist: Ein Autowrack, Blaulicht, Sirenen und dann Stille. Tito (Erkan Acar) liegt im Koma, während seine Frau Ella (Charleen Weiss) an seinem Krankenbett wacht. Was zunächst vertraut und fast klassisch wirkt, nimmt schon bald unerwartete Wendungen. Als eine Ärztin (Franziska Machens) Ella ein riskantes Verfahren anbietet, das ihr erlaubt, in die Traumwelt ihres Mannes einzutreten, beginnt ein filmisches Experiment, das gleichermaßen romantisch, philosophisch und visuell überwältigend ist.

Anstelle einer klassischen, linearen Erzählung entfaltet sich in "Make Me Feel" ein komplexes Spiel aus Erinnerungen, Träumen und Fantasien. Jeder Traum bildet ein eigenes Universum, mal als atmosphärische Gangsterballade, mal als staubiger Western, dann wieder als surreales Kammerspiel, in dem Zeit, Raum und Logik scheinbar aufgehoben sind. Tito erscheint in jedem Traum in einer neuen Gestalt: mal charmant, mal gefährlich, mal geheimnisvoll, und doch stets als Spiegel seiner eigenen Ängste, Sehnsüchte und unbewussten Konflikte. Ella bleibt dabei die konstante Ankerfigur, die emotionale Brücke zwischen den Traumwelten, stets bemüht, die Fragmente ihrer Liebe zusammenzufügen und die Verbindung zu Tito zu bewahren. Diese Struktur macht den Film zugleich anspruchsvoll und packend. Der Zuschauer wird gefordert, mitzufühlen, sich in die Figuren hineinzudenken und die subtilen emotionalen Nuancen zu entdecken, die in jedem Traum verborgen liegen.

Diese Erzählstruktur ist mutig, gelegentlich herausfordernd, und gerade das verleiht dem Film seine besondere Faszination. "Make Me Feel" wagt, was viele deutsche Produktionen scheuen: Es erzählt nicht bloß linear oder realistisch, sondern gefühlstreu, auf einer Ebene, die stark an den inneren Wahrnehmungen und Gefühlen der Figuren orientiert ist. Das Drehbuch folgt einer eigenen Traumlogik, in der Timing, Perspektive und Intensität der Emotionen wichtiger sind als starre Erzählkonventionen. Manche Szenen wirken wie kleine Musikvideos: rhythmisch, rauschhaft, visuell überwältigend, mit einer Energie, die den Zuschauer regelrecht mitreißt. Andere Sequenzen sind still, beinahe schmerzhaft intim, in denen man die Nähe der Figuren körperlich spüren kann. Die stetigen Wechsel zwischen Pracht und Intimität, zwischen Surrealität und realer Nähe verleihen dem Film eine Dynamik, die unvorhersehbar, spannend und zutiefst lebendig ist und ein Kinoerlebnis schafft, das sich nicht nur auf die Geschichte stützt, sondern die Gefühlswelt der Figuren selbst in den Mittelpunkt rückt.

Die Kameraarbeit von Konstantin Freyer ist ein Erlebnis für sich, fast wie ein zusätzlicher Erzähler im Film. Stets nah an den Figuren eingefangen, vermittelt sie Intimität und Nähe, fängt kleinste Gesten, flüchtige Blicke und subtile Regungen ein. Gleichzeitig zeigt die Kamera ein feines Gespür für visuelle Metaphern: flackerndes Licht, reflektierende Oberflächen, Schatten, die Geheimnisse andeuten, und Bildkompositionen, die mehr erzählen als Dialoge. Besonders in den Traumsequenzen entfaltet die Bildgestaltung ihre volle Wirkung: Farbgestaltungen werden gezielt eingesetzt, um Stimmung und Emotion zu unterstreichen. Die Kamera lenkt die Wahrnehmung, hebt Details hervor, die oft über die Handlung hinaus Bedeutung tragen. Jedes Bild wirkt sorgfältig komponiert, jedes Detail erzählt etwas über das Innenleben der Figuren. Diese visuelle Sprache hebt den Film in seiner erzählerischen und emotionalen Wirkung auf ein neues Niveau.

Charleen Weiss und Erkan Acar tragen "Make Me Feel" mit beeindruckender Präsenz und verleihen dem Film eine spürbare Tiefe. Weiss gelingt es, Ellas Schmerz, Verzweiflung und zugleich ihre innere Stärke greifbar zu machen, ohne je ins Melodramatische abzurutschen. Ihr Spiel ist subtil, authentisch und immer nah an der Realität, selbst wenn die Welt um sie herum zunehmend surreal, bizarr oder traumhaft verschoben erscheint. Acar wiederum beeindruckt durch seine Wandlungsfähigkeit: Er verkörpert Liebhaber, Held, Antiheld, Täter und Opfer zugleich und bleibt dabei stets als Tito erkennbar. Diese Vielschichtigkeit macht seinen Charakter faszinierend und unvorhersehbar. Besonders die Chemie zwischen Weiss und Acar ist bemerkenswert, sie bildet das emotionale Fundament, das sämtliche stilistischen Experimente und visuellen Übersprünge des Films trägt. Dank ihrer Präsenz werden selbst komplexeste Traumsequenzen nachvollziehbar, und der Zuschauer kann sich jederzeit in den Figuren verankern. Zusammen schaffen sie eine Dynamik, die den Film lebendig, intensiv und zutiefst berührend macht.

Thematisch bewegt sich der Film zwischen den großen, existenziellen Fragen des Menschseins: Was bleibt von uns, wenn Erinnerung, Zeit und Raum verschwimmen? Wie stark prägen unsere Fehler, unsere Ängste und unsere Sehnsüchte das, was wir lieben und wie wir lieben? Und was bedeutet Vergebung gegenüber anderen und gegenüber uns selbst, wenn wir uns selbst kaum noch erkennen? Der Film sucht bewusst keine einfachen Antworten, sondern feiert das Unvollkommene, das Zerbrechliche und zutiefst Menschliche. In einer Welt, in der Traum und Realität, Lust und Schmerz, Nähe und Verlust ineinander übergehen, zeigt er, dass Liebe nicht immer logisch, planbar oder kontrollierbar ist, und doch vielleicht das Einzige, was uns wirklich zusammenhält und Halt gibt. Dabei gelingt es dem Film, universelle Fragen in ein sehr persönliches, gefühlsintensives Erzählen zu übersetzen, das den Zuschauer auf einer tiefen Ebene berührt.

Im letzten Drittel verschmelzen Realität und Traum endgültig zu einer fließenden, fast hypnotischen Einheit. Die Grenzen zwischen Erinnerungen, Fantasien und der Gegenwart lösen sich auf, Bilder überlagern sich, Motive wiederholen sich, und man weiß kaum noch, ob man Zeuge eines Abschieds oder eines Neubeginns ist. "Make Me Feel" endet nicht mit einer klaren Auflösung oder einfachen Antworten, sondern mit einem Gefühl, das nachklingt, lange nachdem der Abspann vorbei ist. Gerade dieses offene, emotionale Ende macht den Film zu einem unvergesslichen Erlebnis, das im Gedächtnis bleibt und zum Nachdenken anregt.

Dass all dies aus einer deutschen Produktion stammt, macht den Erfolg von "Make Me Feel" umso beeindruckender. Der Film beweist eindrucksvoll, dass ambitioniertes, mutiges Kino auch hierzulande möglich ist, jenseits von Konvention, Kalkül und festgefahrenen Genre-Erwartungen. Er zeigt, dass deutsche Independent-Filme nicht nur handwerklich hochwertig sein können, sondern auch inhaltlich originell, visuell experimentell und tief berührend. "Make Me Feel" ist kein Film, der jedem gefallen möchte, er fordert seine Zuschauer heraus, überrascht, irritiert und bewegt zugleich. Wer sich auf diese Reise einlässt, wird reich belohnt: mit einem einzigartigen filmischen Erlebnis, das zeigt, wie viel Kreativität und Herzblut im deutschen Kino stecken. 

Kurzfazit: "Make Me Feel" ist ein emotional mitreißender, visuell kraftvoller und erzählerisch mutiger Film über Liebe, Erinnerung und Identität. Mehr als ein klassisches Liebesdrama, entfaltet er sich zu einem filmischen Erlebnis, das seine Zuschauer nicht nur berührt, sondern auch lange nach dem Abspann im Gedächtnis bleibt. Mit seinen überraschenden Traumwelten, stilistischen Experimenten und der tiefen, menschlichen Ausdruckskraft beweist der Film, dass deutsches Independent-Kino auch international Maßstäbe setzen kann. Wer sich auf diese intensive, vielschichtige Reise einlässt, erlebt ein cineastisches Abenteuer voller Herz, Mut und künstlerischer Leidenschaft.

 

"Make Me Feel" startet ab dem 13. November 2025 in den deutschen Kinos

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