"Kingdom – Die Zeit, die zählt" - Vertrauen, Verlust und die Macht der Familie


In "Kingdom – Die Zeit, die zählt" erzählt Julien Colonna eine eindringliche Geschichte über Vertrauen, Schuld und die fragile Bindung zwischen Vater und Tochter. Inmitten der korsischen Mafia des Jahres 1995 entfaltet sich ein leises, intensives Drama über Familie, Loyalität und das Erwachsenwerden, getragen von großartigen Schauspielern und einer präzisen, emotionalen Kameraarbeit.

 

Julien Colonnas "Kingdom - Die Zeit, die zählt" entfaltet seine Wirkung mit leiser Kraft. Schon in den ersten Minuten zeigt sich die besondere Handschrift des Regisseurs: eine ruhige Kamera, sparsam eingesetzte Musik und ein präzises Gespür für Zwischentöne. Die Inszenierung wirkt unmittelbar, echt und poetisch zugleich, getragen von Momenten, in denen Blicke, Gesten und Stille mehr erzählt als Worte.

Im Mittelpunkt steht Lesia (Ghjuvanna Benedetti), eine junge Frau, die in den 1990er-Jahren auf Korsika aufwächst. Nach Jahren der Trennung kehrt sie zu ihrem Vater Pierre-Paul (Saveriu Santucci) zurück, einem Mann, der von Macht, Verantwortung und einer unruhigen Vergangenheit geprägt ist. Zwischen den beiden steht die Leere verlorener Zeit. Colonna erzählt diese Annäherung mit spürbarer Sensibilität, ohne melodramatisch zu werden. Die Kamera bleibt dicht an den Figuren, fängt feine Regungen ein und verleiht jeder Szene emotionale Tiefe. Im Verlauf des Films lässt sich Lesias langsames Aufblühen beobachten. Anfangs zurückhaltend und unsicher, lernt sie durch kleine, gemeinsame Momente mit ihrem Vater Vertrauen zu fassen. Jede Szene, in der sie auf Pierre-Paul reagiert oder ihm begegnet, zeigt, wie die anfängliche Distanz nach und nach schmilzt und ein vorsichtiges, aber echtes Band entsteht.

Das Korsika der 1990er-Jahre dient dabei nicht bloß als Kulisse, sondern als atmosphärischer Grundlage, die Stimmung, Figuren und Konflikte prägt. Staubige Straßen, karge Landschaften und das warme Sonnenlicht spiegeln die innere Zerrissenheit der Figuren. Das politische Klima jener Zeit, das im Hintergrund stets spürbar bleibt, verleiht dem Film zusätzliche Spannung, ohne ihn zu dominieren. Colonna interessiert sich weniger für äußere Konflikte als für das, was in den Menschen vorgeht, für unausgesprochene Schuld, verletztes Vertrauen und die Sehnsucht nach Nähe. Besonders die Szenen, in denen Lesia die Hintergründe der Aktivitäten ihres Vaters zu erahnen beginnt, erzeugen eine subtile Spannung, die das familiäre Drama mit dem drohenden Risiko der Außenwelt verknüpft.

Ghjuvanna Benedetti überzeugt in ihrer ersten Hauptrolle mit einer erstaunlich natürlichen Präsenz. Ihr Spiel ist fein, zurückgenommen und zugleich voller Intensität. Saveriu Santucci verkörpert Pierre-Paul mit charismatischer Ruhe, ein Mann zwischen Macht und Ohnmacht, Härte und Fürsorge. Gemeinsam tragen sie den Film mit einer spürbaren, fast stillen Chemie, die jede gemeinsame Szene auflädt. Eine der eindrucksvollsten Szenen ist das lange Gespräch zwischen Vater und Tochter, in dem Pierre-Paul offen über seine Vergangenheit spricht: "Jeder Tag von Gott geschaffene Morgen ist ein Geschenk. Jeder Tag ist wie ein Jackpot. Jeden Tag bin ich der Gewinner und du die Gewinnerin." Die Worte treffen Lesia und das Publikum gleichermaßen und vertiefen die emotionale Verbindung, die sich über den Verlauf des Films immer mehr entwickelt.

Die Bildgestaltung ist durchgängig beeindruckend. Colonna und sein Team setzen auf warme, natürliche Farben, lange Einstellungen und sorgfältig komponierte Bilder. Das Licht, die Landschaft und das Spiel mit Schatten verleihen dem Film eine fast malerische Atmosphäre. Dazu kommt ein subtiler Score, der Emotionen untermalt, ohne sie zu überzeichnen.

"Kingdom - Die Zeit, die zählt" ist kein klassisches Krimidrama, sondern ein stilles, intensives Familienporträt. Der Film lebt von Zwischentönen, von Momenten, in denen nichts gesagt wird, aber alles spürbar wird. Colonna zeigt, dass große Emotionen oft in der Stille liegen. Sein Film fragt, was Vertrauen bedeutet, wenn Vergangenheit und Gegenwart untrennbar miteinander verwoben sind, und erinnert daran, dass Nähe manchmal Mut verlangt.

Im letzten Drittel steigert sich die emotionale Spannung, ohne dass der Film seinen leisen Ton verlässt. Statt auf Spektakel setzt er auf Glaubwürdigkeit, auf Menschlichkeit und Atmosphäre. Das Ergebnis ist ein Film, der berührt, ohne sich aufzudrängen, und der lange nachhallt, wie ein stilles Echo vergangener Entscheidungen. Dabei bleibt das Ende bewusst offen und schockierend. Die letzte Wendung verändert die bisherige Ruhe des Films und hinterlässt ein mulmiges Gefühl. Lesia tritt hier aus der schützenden Nähe ihres Vaters heraus und zeigt, wie sehr sie über sich hinausgewachsen ist, ein stiller, aber kraftvoller Abschluss, der Raum für Diskussionen lässt.

Kurzfazit: "Kingdom - Die Zeit, die zählt" ist ein ruhiges, emotional dichtes Vater-Tochter-Drama vor der Kulisse Korsikas. Julien Colonna erzählt mit beeindruckender Klarheit und filmischer Eleganz eine Geschichte über Vertrauen, Schuld und Nähe. Visuell stark, hervorragend gespielt und atmosphärisch außergewöhnlich. Ein stiller, intensiver Film, der unter die Haut geht und im Gedächtnis bleibt.


"Kingdom - Die Zeit, die zählt" startet ab dem 23. Oktober 2025 in den deutschen Kinos

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