"The Secret Agent" - Zwischen Paranoia und Erinnerung


Mit "The Secret Agent" widmet sich Regisseur Kleber Mendonça Filho den dunklen Kapiteln der brasilianischen Geschichte. Zwischen Karneval, Korruption und kollektiver Angst entfaltet sich ein intensives, hypnotisches Drama über Paranoia, Identität und die Narben der Diktatur. Stilistisch gewagt, politisch scharf und emotional vielschichtig.

 

"The Secret Agent" ist ein Film, der sich weder erzählerisch noch stilistisch festlegen lässt. Kleber Mendonça Filho, der mit "Aquarius" und "Bacurau" bereits eindrucksvolle Gesellschaftsporträts geschaffen hat, wählt diesmal einen experimentelleren, erzählerisch verspielteren Zugang. Sein neuer Film ist weniger klassisches Erzählkino als vielmehr ein cineastisches Puzzle, das sich Schicht für Schicht entfaltet und den Zuschauer fordert, aktiv mitzudenken.

Gleich zu Beginn macht Mendonça Filho klar, dass sein Brasilien kein Ort für Sanftheit ist. Inmitten staubiger Hitze, irgendwo zwischen Asphalt und Meer, liegt eine Leiche neben einer Tankstelle, achtlos abgedeckt und von niemandem beachtet. Die Polizei hat keine Zeit, sie zu entfernen, schließlich ist Karneval. Dieses groteske Nebeneinander von Gewalt und Feierlaune durchzieht den gesamten Film wie ein düsteres Leitmotiv.

Der Protagonist Marcelo (Wagner Moura) kehrt nach Jahren der Abwesenheit in die Hafenstadt Recife zurück. Offiziell, um dort als Ingenieur unterzutauchen, inoffiziell, um seiner Vergangenheit zu entkommen. Brasilien befindet sich 1977 mitten in der Militärdiktatur, ein System aus Angst, Kontrolle und Misstrauen. Marcelo ist kein typischer Held: verschlossen, müde und von Schuldgefühlen gezeichnet. Sein kleiner Sohn ist Teil seines Lebens, doch seine familiäre Situation ist durch die Umstände komplex und belastet.

Die Handlung spielt während der Karnevalszeit in Recife, die bunte Feierlichkeiten und Ausgelassenheit mit sich bringt. Ein starker Kontrast zur düsteren Realität, in der Marcelo lebt. Bald wird deutlich, dass er beobachtet und verfolgt wird, und viele Fragen bleiben offen. Mendonça Filho verzichtet auf eine klassische Thriller-Struktur: Statt klarer Antworten präsentiert er Fragmente von Begegnungen, Gesprächen und Bildern. Der Film entfaltet seine Wirkung weniger durch Logik als durch die Spannung und Bedrohung, die in jeder Szene mitschwingt.

Die Kapitelstruktur sorgt für Orientierung: Jedes Segment entfaltet einen eigenen Ton und eine eigene Farbpalette, fast wie ein Buch mit vielen Stimmen. Mal entsteht der Eindruck eines Politdramas, mal einer surrealen Satire, dann eines melancholischen Gedächtnisprotokolls. Diese Sprunghaftigkeit erinnert an Quentin Tarantino und das verspielte Chaos von "Pulp Fiction", durchzogen von lateinamerikanischer Melancholie. Mendonça Filho inszeniert bewusst mit Stilbrüchen: Er schneidet abrupt, spielt mit Zeit, Perspektiven und Erwartungen.

Die Kameraarbeit ist herausragend. Oft statisch, manchmal bewusst unruhig, immer nah an Körpern und Bewegung. Recife erscheint als vibrierender, aber gefährlicher Ort. Das Licht flirrt, die Farben wirken ausgewaschen, als hätte die Sonne der 70er den Film selbst geprägt. Diese staubige, fast körnige Textur verleiht "The Secret Agent" eine seltene Authentizität.

Und dann ist da die Gewalt. Sie tritt nicht ständig auf, doch wenn sie erscheint, ist sie kompromisslos. Die Szene um den Hai, der menschliche Überreste gefressen hat, ist makaber und eindrücklich und zeigt die Brutalität der Umgebung. Auch in Momenten bitteren Humors, etwa wenn groteske Polizeibeamte Korruption mit einem Lächeln betreiben, bleibt das Unbehagen spürbar.

Wagner Moura verkörpert Marcelo mit einer Mischung aus innerer Spannung und Verletzlichkeit. Sein Spiel ist reduziert, kontrolliert und fast dokumentarisch. Gerade darin liegt seine Stärke: Er trägt die Schwere des Films, ohne sie auszusprechen. Auch die Nebenfiguren wirken eher wie Spiegel kollektiver Angst als wie eigenständige Charaktere. Alles bleibt diffus, unklar und zugleich erschreckend real.

Etwa zur Mitte des Films verschiebt sich die Erzählung abrupt: ein Zeitsprung, eine neue Perspektive, ein Bruch. Es wird sichtbar, dass vieles, was wir gesehen haben, Erinnerungen sind, erzählt von Menschen, die Jahrzehnte später darauf zurückblicken. Plötzlich wird "The Secret Agent" zu einem Film über Erinnerung selbst, darüber, wie Geschichte verzerrt wird und wie Wahrheit verschwindet, wenn sie nicht dokumentiert wird. Mendonça Filho löst die Chronologie auf und verwandelt seinen Film in ein vielschichtiges Mosaik aus Geschichten.

Das Ergebnis ist faszinierend und fordernd. Mit einer Laufzeit von fast drei Stunden verlangt der Film volle Aufmerksamkeit. Es ist kein leichtes Kino, kein Thriller zum Zurücklehnen. "The Secret Agent" fordert, dass man sich ihm hingibt, dass man sich verliert in seinen Brüchen, Sprüngen und Details. Dafür belohnt er mit Momenten intensiver, fast poetischer Kraft, die das beklemmende Klima der Militärdiktatur und die Zerrissenheit seiner Figuren eindrucksvoll spürbar machen.

Der letzte Teil des Films steigert sich in eine spürbare Unruhe. Bildsprache, Musik und Schnitt verdichten sich, werden intensiver, drängender. Doch das Ende bleibt offen, brüchig, ungreifbar. Es gibt kein klares Finale, keine einfachen Antworten, nur das Gefühl, dass Brasilien, damals wie heute, mit seinen Geistern ringt.

Kurzfazit: "The Secret Agent" ist ein mutiges, audiovisuell beeindruckendes politisches Drama über Angst, Macht und Erinnerung. Kleber Mendonça Filho erschafft ein herausforderndes, vieldeutiges Werk zwischen Thriller, Satire und Geschichtsstudie. Ein Film, der fordert und irritiert, genau wie beabsichtigt.


"The Secret Agent" startet ab dem 06. November 2025 in den deutschen Kinos

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