Mit "Ich sterbe. Kommst du?" nähert sich Benjamin Kramme einem Thema, über das selten gesprochen wird: dem Tod. Sein stilles, eindringliches Spielfilmdebüt beobachtet Menschen in ihren letzten Tagen mit einer Ruhe, die berührt, und zeigt, dass Abschied, Angst und Liebe untrennbar miteinander verbunden sind.
Der Film beginnt mit einer beeindruckenden Ruhe, die sofort seine Haltung spürbar macht: kein lautes Kino, kein aufdringlicher Score, keine überflüssigen Effekte. Stattdessen stehen Nadine, gespielt von Jennifer Sabel, und ihre körperliche Erschöpfung im Mittelpunkt. Das kurz geschorene Haar, der fragile Gang, jede Bewegung erzählt eine Geschichte, noch bevor sie ein Wort sagt. Ihre Mutter Renate (Barbara Philipp) drängt sie zum Aufbruch. Das Ziel ist ein Hospiz, nicht freiwillig, sondern eine unausweichliche Notwendigkeit. Draußen zwitschern Vögel, während im Inneren gerade ein Sarg transportiert wird. Nadine hört die leisen Stimmen der Pfleger und Bestatter. Für den Zuschauer wird sofort spürbar: Dies ist kein gewöhnlicher Filmstart. Schon in diesen ersten Minuten vermittelt Benjamin Kramme eine Mischung aus Realität, Verletzlichkeit und stiller Bedrohung, die sich wie ein Leitfaden durch den gesamten Film zieht.
Kramme, der sich als Schauspieler ("Tatort") einen Namen gemacht hat und seit einigen Jahren selbst Regie führt, schafft mit "Ich sterbe. Kommst du?" ein Werk, das in seiner stillen Intensität fast dokumentarisch wirkt. Der Film basiert auf einer wahren Geschichte, gleichzeitig fließen viele weitere Erlebnisse ein, wie bereits der Vorspann betont. Diese Authentizität spürt man in jedem Moment: Kein Satz, keine Geste wirkt aufgesetzt oder konstruiert. Stattdessen entfaltet sich die Handlung in feinen, unaufgeregten Szenen, getragen von intensiven Dialogen, langen Blicken und leisen Gesten, die oft mehr ausdrücken als jedes gesprochene Wort. Kramme erlaubt dem Publikum, unmittelbar Teil von Nadines Welt zu werden, ohne sie zu bevormunden oder emotional zu dirigieren, und vermittelt so die fragile Realität ihres letzten Lebensabschnitts mit einer bemerkenswerten Sensibilität.
Nadine ist eine junge Mutter mit Krebs im Endstadium. Ihr Körper gezeichnet, ihr Wille ungebrochen, steht sie vor einer Realität, die sie kaum akzeptieren kann. Der Aufenthalt im Hospiz überfordert sie, sie sehnt sich nach Hause, zu ihrem sechsjährigen Sohn Dexter, der im Sommer eingeschult werden soll. Besuche von ihm sind ein bittersüßes Ritual: Nadine zieht ein Kopftuch an, lächelt tapfer, versucht Normalität zu spielen, und doch spürt man, wie wenig davon ihr noch bleibt. In diesen Momenten wird der Film auf erschütternde Weise ehrlich: Nadine ist keine Heilige im Sterben, sondern wütend, verletzt, zynisch, manchmal unnahbar. Gerade diese Unvollkommenheit, diese rohe Menschlichkeit, macht ihre Figur so berührend und greifbar. Der Zuschauer wird direkt in ihr inneres Chaos hineingezogen und spürt jede Regung, jeden Moment des Kämpfens und Loslassens.
Neben ihr arbeitet Nuri (Ruben Sabel), ein emphatischer Pfleger, der ihre Wut und ihre Widerstände geduldig aushält und dabei zwischen routinierter Fürsorge und echtem Mitgefühl balanciert. Das Hospiz wird so zu einem Schauplatz, in dem Leben und Tod unmittelbar nebeneinander existieren. Besonders eindringlich ist eine Szene, in der Nadine mit ihrer Mutter Renate streitet, weil Dexter nicht wie angekündigt zum Besuch erscheint. "Er hat Angst vor dir", sagt Renate. In diesem Moment bricht etwas in Nadine, und auch beim Publikum setzt ein emotionaler Schlag ein. Es ist dieses schonungslose Ehrlichkeit, die Benjamin Krammes Film auszeichnet: Er zeigt das Sterben nicht als sanftes, vorhersehbares Ereignis, sondern als einen widersprüchlichen, schmerzhaften Prozess voller Angst, Wut, Zuneigung und Verletzlichkeit, der alle Beteiligten berührt und herausfordert.
Trotz der bedrückenden Thematik erlaubt sich der Film kleine Momente von Leichtigkeit. Zwischen Nadine und Marion (Hildegard Schroedter), einer Mitpatientin, entwickelt sich eine zarte, aber kraftvolle Freundschaft. Marion bringt Humor in Nadines Dunkelheit. Sie lacht, raucht, erzählt Geschichten, die den Alltag im Hospiz für einen Augenblick aufhellen. In diesen scheinbar beiläufigen Szenen schafft Kramme Nähe und Intimität, ohne jemals in Kitsch abzudriften. Das Hospiz wird so zu einem Ort des Lebens in seiner letzten, intensivsten Form.
Krammes Inszenierung ist reduziert, präzise und vertraut vollständig auf seine Darsteller. Die Kamera bleibt dicht an den Gesichtern, beobachtet, ohne zu werten. Geräusche von Wind, Schritten oder Zigarettenfeuer ersetzen Musik und verleihen jeder Szene eine besondere Intensität. Jedes Atmen, jedes Schweigen bekommt Gewicht. Jennifer Sabel trägt den Film fast allein und beeindruckt mit einer Wucht, die lange nachhallt. Für ihre Darstellung wurde sie 2025 völlig verdient mit dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichnet.
"Ich sterbe. Kommst du?" feierte seine Uraufführung beim Max-Ophüls-Festival, wo er mit zwei Preisen ausgezeichnet wurde, und wurde anschließend auch beim Filmkunstfest Schwerin gefeiert. Der Film ist in vielerlei Hinsicht ein Glücksfall: ein mutiges Erstlingswerk, das sich dorthin wagt, wo andere wegsehen. Kramme gelingt dabei ein Spagat zwischen existenzieller Schwere und menschlicher Wärme. Lachen, Weinen, Schweigen: alles wird mit gleicher Intensität wahrgenommen.
Im letzten Drittel gewinnt der Film an emotionaler Wucht, ohne ins Melodramatische zu kippen. Nadine beginnt, ihre neue Umgebung als einen Ort zu begreifen, der ihr Halt und Struktur bietet. Der Fokus liegt nicht auf Heilung, sondern auf Nähe, Akzeptanz und der Würde im Umgang mit dem, was kommt. Kramme zeigt dabei, dass selbst in schweren Momenten kleine Gesten, menschliche Wärme und die Begegnung mit anderen Menschen von enormer Kraft sein können.
"Ich sterbe. Kommst du?" ist kein Film, der leicht zu vergessen ist. Er verlangt Hingabe, Geduld und die Bereitschaft, sich dem Unausweichlichen zu stellen. Wer sich darauf einlässt, erlebt eine der ehrlichsten deutschen Produktionen der letzten Jahre, getragen von stiller Kraft, herausragender Schauspielkunst und dem Mut, das Leben im Sterben in all seinen Facetten zu zeigen.
Kurzfazit: "Ich sterbe. Kommst du?" ist ein leises, bewegendes Drama über Tod, Familie und den Mut, loszulassen. Benjamin Kramme erzählt mit großer Sensibilität und tiefem Mitgefühl. Jennifer Sabel überzeugt in einer herausragenden Ausnahmerolle, deren Intensität noch lange nach dem Abspann nachklingt und den Zuschauer zutiefst berührt.
"Ich sterbe. Kommst du?" startet ab dem 13. November 2025 in den deutschen Kinos

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