Ein Mann, der zu lange fort war. Eine Insel, die nicht mehr weiß, woran sie glauben soll. Eine Frau, deren Geduld zum letzten Halt eines Reiches geworden ist, das langsam unter seinen eigenen Schatten zerbricht. "Rückkehr nach Ithaka" beginnt wie ein leiser Nachhall eines Krieges, der nur für jene Bedeutung hat, die ihn überlebt haben. Zwischen Dunkelheit und salzgetränktem Licht, zwischen Erwartungen und dem Schweigen der Gegenwart entfaltet Uberto Pasolini ein Drama, das nicht laut werden muss, um zu treffen. Es genügt, die Kamera sprechen zu lassen, während die Wellen einen erschöpften Körper an Land spülen und eine Geschichte ans Licht zerren, die längt verloren schien.
Es beginnt mit Worten. Mit einer Einführung, die sich wie ein Schleier über den Film legt und die Wunden der Zeit ankündigt. Troja ist gefallen, Jahre sind vergangen, und auf der Insel Ithaka haben sich Verzweiflung und das endlose Warten in die Gesichter der Menschen eingegraben. Penelope (Juliette Binoche), noch immer Königin eines Reiches ohne König, webt am Leichentuch für Odysseus (Ralph Fiennes), und zugleich an der Hoffnung, dass er eines Tages zurückkehrt. Telemachos (Charlie Plummer), der seinen Vater nie kennengelernt hat, ist längst selbst ein junger Mann geworden. Währenddessen verwüsten Freier das Land, drängen, fordern und bedrohen, treiben die Insel an den Rand ihrer eigenen Erschöpfung.
Uberto Pasolini eröffnet "Rückkehr nach Ithaka" mit einem Blick, der sofort fesselt: einer Nahaufnahme von Telemachos, untermalt von einem Soundtrack, der sanft anschwillt, getragen von Streichern, die die Bilder subtil bestärken. Die ersten Einstellungen wirken kühl, gedämpft, beinahe zerbrechlich. Schatten fallen auf Licht, Gesichter ringen mit der Dunkelheit, und im Wasser liegt ein nackter Mann, reglos, fast leblos. Die Kamera zeichnet eine Welt, in der Hoffnung längst zu einem Ritual geworden ist, weil nichts anderes mehr möglich scheint.
"Rückkehr nach Ithaka" ist ein Historienfilm, der seine Zeit atmet. Kostüme und Kulissen wirken greifbar, rau und wettergezeichnet, jedes Detail erzählt von Jahren der Abwesenheit und des Krieges. Machtkämpfe bestimmen den Rhythmus der Insel, Intrigen und Ansprüche der Freier drohen das fragile Gleichgewicht jederzeit zu zerstören. Telemachos drängt seine Mutter zur Entscheidung, er hält seinen Vater für tot und will Ithaka retten, noch ehe es endgültig zerfällt. Doch Penelope hält stand. Sie webt, sie wartet, sie schweigt. Und genau in diesem Schweigen liegt eine ganze Welt voller Verlust, Sehnsucht und der leisen Hoffnung, dass eines Tages alles wiederkehrt, was verloren schien.
Schon früh enthüllt der Film, dass der Mann am Strand tatsächlich Odysseus ist. Er lebt. Aber er ist nur noch ein Schatten seines ehemaligen Selbst. Ralph Fiennes spielt ihn mit einer Intensität, die fast unangenehm nah wirkt, ausgezehrt, gealtert, gezeichnet von einem Krieg, der nicht endet, nur weil man die Schlacht überlebt. Jeder Blick, jede Bewegung, jede Geste zeigt von einem Leben voller Verlust und Schmerz. Sein Leiden sitzt tief in der Stimme, im Blick, im Körper, und man nimmt ihm jede Facette seiner inneren Zerrissenheit ab, als trüge er die Jahre seiner Abwesenheit und des Leids nicht nur in sich, sondern auf der Haut.
Odysseus findet Unterschlupf bei einem Fremden, der ihn gesund pflegt, ohne seine wahre Identität zu erkennen. Erst hier öffnet sich der Film zum ersten Mal zu einem längeren Dialog: Odysseus erzählt von Troja, nicht heroisch, sondern schlicht, nüchtern und erschöpft. Dass der Fremde dennoch nicht begreift, wer vor ihm sitzt, ist ein bitterer Kommentar über die Veränderungen, die Krieg in Menschen hinterlässt. Man erkennt jene nicht wieder, die zurückkehren, und oft erkennen sie sich selbst nicht mehr. Jede seiner Worte, jedes detailgenaue Erinnern trägt die Last der Jahre, und man spürt die stille Verzweiflung, die ihn durchdringt.
Die Erzählung springt zwischen den Figuren, lässt immer wieder kurze Blicke auf die Gewaltverhältnisse der Insel zu. Viele Gesichter bleiben fremd, kaum eingeführt, fast als wolle der Film betonen, wie austauschbar diese Anspruchsteller sind, wie beliebig ihre Ambitionen, wie wenig Bedeutung sie in der Geschichte eines Mannes haben, der nur heimkehren wollte. Zwischen Intrigen, Drohungen und offenen Kämpfen erscheint Ithaka wie ein Ort, der nicht nur auf die Rückkehr seines Königs wartet, sondern zugleich unter der eigenen Zerrissenheit leidet. Für Odysseus wirken diese Figuren wie Schatten, die sein altes Leben überlagern.
Während Penelope um ihren Sohn fürchtet, während Telemachos versucht, Verantwortung zu übernehmen, während Intrigen das Land durchziehen, bleibt die Inszenierung konsequent ruhig. Pasolini vertraut auf Bilder statt auf Worte. Das Licht arbeitet gegen die Dunkelheit, die Landschaft wird zur inneren Bühne der Figuren. Der Film nimmt sich Zeit, viel Zeit. Doch wer sich auf das gemächliche Pacing einlässt, entdeckt darunter eine subtile Spannung, die sich in den leisen Zwischentönen entfaltet und langsam an Intensität gewinnt.
Eine der emotional stärksten Szenen ist die Begegnung zwischen Odysseus und seinem alten Hund. Die Kamera hält fest aus Fiennes' Gesicht, während Argos ihn erkennt, für einen Moment Frieden findet und stirbt. Keine Musik drängt sich auf, keine Effekthascherei. Nur ein Blick, ein Atemzug, ein Abschied. Ein winziger Moment, der dennoch das Herz des Films trägt, in dem all die Jahre des Wartens, der Sehnsucht und der Verluste in einer einzigen, stillen Geste zusammenlaufen.
Als Odysseus schließlich das Königreich betritt, halten ihn die Männer für einen Bettler. Sie erniedrigen ihn, treiben ihn zum Kampf, und es kommt zu einem versehentlichen Tod. Brutale, harte Bilder, und ein Film, der nie vergisst, dass seine Welt von Schmerz geformt ist. Penelope erkennt ihren Mann nicht. Telemachos erkennt seinen Vater nicht. Das ist der vielleicht grausamste Stich dieses Dramas: die Vorstellung, dass Rückkehr nicht automatisch Heimkommen bedeutet, und dass das Wiedersehen oft schmerzhafter ist, als die Trennung selbst.
Mitten im Film beginnt sich das Tempo leicht zu verdichten, ohne je wirklich anzuziehen. Penelope stellt den Freiern eine Aufgabe: den Bogen ihres Mannes zu spannen. Ein Akt, der zur Prüfung der Würde wird, ein Echo vergangener Größe. Einer nach dem anderen scheitert. Antinoos (Marwan Kenzari), einer der Favoriten auf den Thron, tobt. Und dann tritt Odysseus selbst hervor. Die Kamera schweigt. Der Soundtrack zieht sich zurück. Ein Mann und sein Bogen, ein Moment voller schmerzhafter Erinnerung. Er spannt ihn, hält den Atmen an, und trifft. Ein kleiner Augenblick, der alles erzählt: die Jahre der Abwesenheit, die Last des Krieges, die Kraft des Heimkehrers.
Was folgt, ist der finstere Kern des Films, die rohe Konfrontation, die alle bisherigen Spannungen bündelt. Gemeinsam mit seinem Sohn kämpft Odysseus gegen jene, die Ithaka zerstören wollte. Fiennes, blutüberströmt, gehetzt, geerdet, trägt diese Sequenzen mit einer physischen Wucht, die tief unter die Haut dringt und zugleich die psychische Erschöpfung des Kriegers spürbar macht. Penelope verlässt den Schauplatz, nicht erleichtert, sondern erschöpft, verletzt und wütend. Eine Wiedervereinigung, die keine Feier kennt, sondern das stille Gewicht von Jahren der Abwesenheit und des Leidens trägt.
Pasolini verzichtet vollständig auf mythologische Wesen. Keine Götter, keine Wunder. Nur Menschen und die Narben, die sie einander zufügen. In dieser nüchternen, realistischen Welt stehen zwei Figuren über allem: Ralph Fiennes als Odysseus und Juliette Binoche als Penelope. Fiennes spielt mit einer Intensität, die den Zuschauer förmlich auf die Leinwand zieht. Seine Präsenz füllt jeden Raum, seine Erschöpfung, sein Schmerz, seine Zerrissenheit sind greifbar, fast körperlich spürbar. Binoche wiederum verleiht Penelope eine Mischung aus Stolz, Verletzlichkeit und unerschütterlicher Entschlossenheit, die jeden Moment trägt. Ihr Blick ist still, aber voller Emotion, ihre Zurückhaltung ein Ausdruck ihrer Stärke. Zusammen erzeugen sie eine Chemie, die die Kamera aufnimmt und verdichtet. "Rückkehr nach Ithaka" lebt von diesen beiden Performances, von ihrem subtilen, doch durchdringenden Spiel. Die Nebenrollen sind solide, sie fügen sich harmonisch ein, doch sie stehen immer im Schatten der beiden Hauptfiguren, deren Präsenz den Film überstrahlt.
Kurzfazit: "Rückkehr nach Ithaka" ist ein ruhiges, kraftvoll gespieltes Historiendrama über das Ende einer Heimreise, die jeden verändert hat. Pasolini inszeniert die letzten Kapitel der Odyssee zurückhaltend, dafür mit bedrückender Menschlichkeit, die in jedem Bild spürbar ist. Ein Film über Krieg, Verlust und die Unmöglichkeit, wieder so zu werden, wie man einmal war. Langsam, bildstark, schmerzhaft und getragen von zwei überragenden Hauptdarstellern, deren Präsenz den Film in jedem Moment dominieren: Ralph Fiennes als Odysseus, der die Last der Jahre und des Krieges körperlich und emotional spürbar macht, und Juliette Binoche als Penelope, deren stiller, aber unerschütterlicher Stolz jeden Blick zu einem eigenen Ausdruck von Stärke und Verletzlichkeit werden lässt. Ein Film, der in seiner stillen Wucht nachhallt und lange nach dem Abspann im Gedächtnis bleibt.
"Rückkehr nach Ithaka" startet ab dem 27. November 2025 in den deutschen Kinos

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