"Herz aus Eis" - Zwischen Märchen, Film und gefährlicher Sehnsucht

In "Herz aus Eis" entführt Lucile Hadžihalilović in ein rätselhaftes Märchenreich, in dem Realität und Fantasie ineinander verschwimmen. Marion Cotillard verkörpert Cristina mit kühler Präsenz, während der Film von Sehnsucht, Identität und der verführerischen Kraft des Kinos erzählt. Atmosphärisch dicht und visuell beeindruckend, zieht "Herz aus Eis" die Zuschauer in seinen Bann und hinterlässt lange nach dem Ende ein nachklingendes Gefühl von Staunen und Unruhe.

 

Mit "Herz aus Eis" kehrt Lucile Hadžihalilović zurück in eine Zwischenwelt, in der Realität, Traum und cineastische Illusion ineinanderfließen. Die französische Regisseurin, bekannt für ihre hypnotischen, rätselhaften Werke wie "Evolution" oder "Earwig", präsentiert ein atmosphärisch dichtes Coming-of-Age-Drama, das sich anfühlt wie eine frostige Berührung: kühl, geheimnisvoll und schimmernd. Eine Schönheit, die sich erst allmählich entfaltet. Im Zentrum stehen Marion Cotillard als eisige, zugleich faszinierende Cristina und die beeindruckende Newcomerin Clara Pacini als Jeanne, deren Figuren das fragile, entrückte Universum des Films mit Leben füllen.

Schon der Einstieg offenbart Hadžihalilovićs unverwechselbare Handschrift: kaum Dialoge, dafür Räume, die atmen, Bilder, die mehr verbergen als verraten, und ein Rhythmus, der die Zuschauer sanft hineinsaugt, statt sie anzuleiten. Jeanne, ein stilles Mädchen aus einem Waisenhaus der 1970er Jahre, liest einem jüngeren Kind das Märchen der Schneekönigin vor. Während ihre Stimme durch den Raum gleitet, fängt die Kamera in ruhigen, wohlkomponierten Einstellungen die verschneite Berglandschaft ein. Schnee, Stille, Einsamkeit. Der Beginn erzählt kaum, er umhüllt. Eine Einladung in einen Film, der sich wie ein Traum entfaltet: bezaubernd und zugleich unbegreiflich, dem man sich dennoch hingeben möchte. 

Jeannes Flucht aus dem Heim führt sie auf verschlungene Wege: ein Autofahrer, dem sie misstraut, der nächtliche Marsch durch Schnee und Kälte, die fast magische Begegnung mit einer Eislaufbahn, deren Licht, Bewegung und Musik wie ein flüchtiges Versprechen wirken. Hadžihalilović komponiert diese Szenen mit einer fast unheimlichen Präzision. Die Atmosphäre übernimmt, der Film beginnt zu schweben, die Realität löst sich auf. Erst als Jeanne in ein unbekanntes Haus eindringt und entdeckt, dass sie sich mitten in einem Filmset befindet, schiebt sich wieder etwas Konkretes in den Vordergrund, doch auch dieses greifbare Element ist nur der Anfang einer Welt, in der Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion verschwimmen.

Der Film-im-Film, eine Neuverfilmung von Hans Christian Andersens "Die Schneekönigin", öffnet Jeanne die Tür zu einer Welt voller Illusionen, Schatten und unerklärlicher Anziehungskraft. Cristina, von Marion Cotillard mit eisiger Eleganz und ambivalenter Präsenz verkörpert, erscheint Jeanne zunächst wie eine Erscheinung: unerreichbar, erhaben, gefährlich. Unter dem Namen Bianca übernimmt Jeanne die Identität eines fremden Mädchens und bewegt sich am Set, als hätte sie schon immer dazugehört. Zwischen Kälte, Kunstschnee und künstlichem Licht verschwimmen die Grenzen. Alles scheint möglich, doch nichts ist wirklich greifbar, und die junge Protagonistin wird zugleich Teil einer hypnotischen, kaum zu durchschauenden Realität. 

Hadžihalilović verzichtet bewusst auf eine lineare Erzählung und setzt stattdessen auf dichte, beinahe greifbare Stimmungen: ein Filmset, das wie ein schimmerndes Märchenreich wirkt und Licht, das durch Ritzen fällt, als stamme es aus einer anderen Welt. Das Unwirkliche wird nicht erklärt, sondern gespürt. Grenzen zwischen Realität, Fantasie und Projektion lösen sich auf. Jeanne begegnet Cristina nicht mehr nur als Schauspielerin, sondern als Wesen, das direkt aus dem Märchen getreten zu sein scheint: mächtig, verführerisch, furchteinflößend. Eine Frau, die Jeannes Welt auf den Kopf stellen, sie verführen oder verschlingen könnte.

Doch "Herz aus Eis" ist nicht nur ein visuell rauschhaftes Märchen, sondern auch ein leises, eindringliches Drama über Sehnsucht, Identität und die Gefahr der Selbstaufgabe. Jeannes Blick haftet auf Cristina wie auf einem leuchtenden Stern, dem sie folgen möchte, selbst wenn er sie ins Ungewisse führt. Cristina ist weit mehr als eine eigenwillige Diva, sie wird zur Projektionsfläche, zum Symbol für die Abgründe des Menschen und die verführerische Macht des Kinos. Wenn sie drohend sagt: "Ich sehe alles", hat das etwas Mythisches, und zugleich etwas zutiefst Menschliches, das Jeanne gleichermaßen fasziniert und verunsichert. 

Die Beziehung der beiden Frauen entwickelt sich zu einer dynamischen, oft verstörenden Spirale, zwischen Fürsorge und Missbrauch, Bewunderung und Manipulation, Nähe und Abgrund. Cotillard spielt Cristina mit schillernder Mehrdeutigkeit: mal herzlich, mal eisig, mal wie eine Königin, die Opfer fordert. Jeanne (oder Bianca), wird zum Spiegel dieser Macht: eine zarte, suchende Figur, deren tiefe Sehnsucht nach Zugehörigkeit sie immer weiter in diese märchenhafte, gefährliche Falle zieht. 

Je tiefer Jeanne in die Illusion des Films hineingerät, desto klarer tritt das eigentliche Thema von "Herz aus Eis" ans Licht: die gefährliche Macht von Geschichten. Das Kino wird hier nicht romantisiert, sondern als Ort gezeigt, der verführt, formt, manipuliert, und im Extremfall zerstören kann. Gaspar Noé, als Regisseur des Film-im-Film, verkörpert diese Doppelgesichtigkeit meisterhaft: das kreative Genie, das erschafft, und das unbarmherzige Monster, das verschlingt. 

In der letzten halben Stunde verdichtet sich "Herz aus Eis" zu einem dunklen, hypnotischen Rausch. Die Bilder werden fragiler, die Musik bedrohlicher, und die Grenzen zwischen Realität, Traum und Fiktion endgültig durchlässig. Jeanne verliert sich, findet sich neu und verschwindet wieder, wie in einem Märchen, dessen Ausgang nie feststeht. Viele Fragen bleiben ganz bewusst offen. Hadžihalilović interessiert sich nicht für klare Antworten, sondern für das Schimmern dazwischen: das Unheimliche, das Verführerische, das Menschliche.

Kurzfazit: "Herz aus Eis" ist ein faszinierendes, atmosphärisch dichtes Märchen-Drama, das Realität, Traum und cineastische Illusion ineinanderfließen lässt. Lucile Hadžihalilović entfaltet ein hypnotisches, zugleich unheimliches Universum, in dem Sehnsucht, Identität und die verführerische Macht des Kinos zentrale Rollen spielen. Marion Cotillard als eisige, geheimnisvolle Cristina und Clara Pacini als suchende Jeanne verleihen dem Film Tiefe und Bedeutung. Ein außergewöhnliches, verstörend schönes Werk, das lange nachklingt.

 

"Herz aus Eis" startet ab dem 18. Dezember 2025 in den deutschen Kinos.

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