"Im Rosengarten" - Zwischen Herkunft und Verantwortung


"Im Rosengarten" begleitet den Berliner Musiker Yakoub, der nach einem Zusammenbruch während eines Konzerts plötzlich Verantwortung für eine ihm völlig fremde Halbschwester übernehmen muss. Auf einer stillen Reise von Berlin nach Köln begegnet er einer Vergangenheit, die er jahrzehntelang verdrängt hat. Zwischen wortlosen Momenten, musikalischen Erinnerungen und familiären Wunden entfaltet sich ein leises Drama über Herkunft, Nähe und die Suche nach einem Platz im eigenen Leben.

 

Leis Bagdachs "Im Rosengarten" eröffnet mit einer auffälligen Stille. Sanfte Bilder von Wald, Wasser und Nebel ziehen den Zuschauer sofort in die Atmosphäre des Films, begleitet von einer Stimme in arabischer Sprache, deren Bedeutung unbekannt bleibt, deren Klang aber Spannung auf stiller Ebene erzeugt. Dann bricht die Stille abrupt: Die Berliner Konzertatmosphäre schlägt herein, grelles Licht und dröhnender Rap füllen den Raum. Yakoub (Kostja Ullmann), gefeierter Musiker, steht auf der Bühne, sicher im Umgang mit Ruhm, bis sein Körper überraschend nachgibt und die Kontrolle entgleitet, ein Moment, der zugleich die Fragilität seines Lebens offenbart.

Diese Gegenüberstellung bestimmt den Rhythmus des Films: das Laute und das Leise, das Sichtbare und das Unsagbare. Yakoubs Zusammenbruch ist kein bloßer dramatischer Effekt, sondern der Ausgangspunkt einer Reise, die ihn ausgerechnet dorthin führt, wo er seit Jahrzehnten nicht mehr hingesehen hat. Zurück zu seiner Familie, zu einer Vergangenheit, die ihn geprägt, geformt und lange im Verborgenen gehalten hat.

Kurz darauf erreicht Yakoub ein Brief seines Vaters, den er seit dreißig Jahren nicht gesehen hat. Der Mann liegt im Koma in einem Kölner Krankenhaus und überträgt Yakoub eine Aufgabe, die ihn überfordert: Er soll sich um seine unbekannte Halbschwester Latifa (Safinaz Sattar) kümmern. Safinaz Sattar verkörpert Latifa zurückhaltend, still und beinahe scheu. Sie spricht ausschließlich Arabisch, Yakoub versteht sie kaum. Dennoch bleibt sie unbeirrt an seiner Seite, eine stille Präsenz, die Yakoub zunehmend herausfordert und gleichzeitig Halt bietet.

Bagdach erzählt diese Annäherung ohne große Gesten. Vieles geschieht im Blick, im Schweigen, in vorsichtigen Bewegungen. Die Kamera beobachtet aufmerksam, statt zu kommentieren. Keine nervösen Schnitte, keine übertriebenen Erklärungen. Stattdessen lässt der Film die Räume wirken: weite Landschaften, stille Straßen, intime Innenräume, in denen jedes Geräusch Gewicht gewinnt und die wachsende Bindung zwischen Yakoub und Latifa spürbar wird.

Yakoub versucht zunächst, sich der Verantwortung zu entziehen. Er bringt Latifa zu seinem alten Freund Art (Tom Lass), der irgendwo zwischen Exzentrik und Hilfsbereitschaft lebt. Doch schnell wird klar, dass diese Übergabe nicht funktionieren wird. Latifa sucht Halt, und Yakoub ist, gewollt oder nicht, der einzige Mensch, der ihr geblieben ist. Der Film zeigt diese Verbindung ohne Sentimentalität, mit einer Natürlichkeit, die wirkt, als würde man ihr beim Entstehen zusehen. Gleichzeitig spürt man Yakoubs innere Zerrissenheit: seine Überforderung, seine Unsicherheit und die wachsende Verantwortung, die er zu tragen beginnt.

Kostja Ullmann trägt große Teile des Films. Seine Darstellung ist konzentriert, glaubwürdig und frei von Übertreibungen. Man sieht einem Mann zu, der gleichzeitig populär und verloren ist, erfolgreich und erschöpft. Wenn er schweigend neben seiner Schwester sitzt oder alte Orte besucht, spürt man die Müdigkeit eines Menschen, der jahrelang vor sich selbst geflohen ist. Die ruhige Kameraführung unterstützt diese Intimität: Jede Bewegung, jeder Blick wird bedeutsam, und die stillen Momente gewinnen eine emotionale Wucht, die den Zuschauer tief in Yakoubs innere Welt zieht.

Bagdach erweitert die lineare Reise durch subtile visuelle Einfälle. Immer wieder tauchen Visionen des im Koma liegenden Vaters auf, die sich wie Erinnerungsfragmente in die Handlung legen. Diese Bilder wirken nie wie Effekthascherei, sondern spiegeln unausgesprochene Themen: Herkunft, Glauben, Verantwortung. Auch Yakoubs eigene Musik taucht wiederholt auf, mal als leiser Hintergrund, mal als treibendes Element, ohne je zu dominieren. Sie ist organisch in die Erzählung eingebunden und verstärkt das Innenleben der Figuren. Zusammen mit der klaren Bildkomposition entsteht ein Rhythmus, der die emotionale Reise des Protagonisten spürbar macht.

Je weiter die beiden reisen, desto stärker öffnet sich der Film kulturellen Fragen. Yakoub bezeichnet sich selbst als Deutschen, doch seine Begegnungen mit Familie, Religion und Musik, stellen dieses Selbstbild leise infrage. Bagdach verzichtet auf Überdramatisierung: keine großen Debatten, keine erklärenden Monologe. Stattdessen zeigt er kleine, eindringliche Momente, etwa den Besuch bei den Großeltern oder Latifas Beharren, gemeinsam weiterzureisen. Diese Szenen wirken schlicht, aber kraftvoll, und lassen Yakoubs innere Auseinandersetzung mit Herkunft, Verantwortung und Identität unmittelbar erfahrbar werden. Die Reise wird dadurch nicht nur geografisch, sondern auch biografisch: eine Entdeckung von Nähe, Verständnis und Selbstreflexion.

Nebenfiguren fügen sich stimmig in den Film ein. Besonders der Aufenthalt bei Fee (Verena Altenberger), Yakoubs früherer Jugendliebe, bringt eine ruhige, melancholische Note in die Erzählung. Fee steht kurz vor der Hochzeit, führt ein Leben, das Yakoub einst selbst kannte, aber nicht halten konnte. Ihre Szenen eröffnen Einblicke in verpasste Chancen, Yakoubs Verluste und die Bedeutung von Latifa in seinem Leben. Das Zusammenspiel von Gegenwart und Erinnerung verstärkt die emotionale Dichte des Films und verankert Yakoubs Konflikte in einer realen, nachvollziehbaren Welt.

Der Weg führt schließlich Richtung Köln, zum Vater, zu einem möglichen Abschluss. Bagdach verzichtet auf große emotionale Ausbrüche und bleibt seiner ruhigen, beobachtenden Haltung treu. Die Beziehung zwischen Yakoub und Latifa ist bis dahin auf eine Weise gewachsen, die man kaum bemerkt, bis man spürt, wie vertraut die beiden miteinander geworden sind. Jede kleine Geste erzählt von Vertrauen, Verantwortung und der stillen Annäherung zweier Menschen, die eine gemeinsame Geschichte erst noch entdecken müssen.

Kurzfazit: "Im Rosengarten" ist ein stilles, fein beobachtetes Drama über Verantwortung, Herkunft und die Schwierigkeit, sich selbst wiederzufinden. Leis Bagdach verlässt sich auf Atmosphäre, präzise Schauspielmomente und sorgfältige Bildkompositionen statt auf große dramatische Wendungen. Wer sich auf das langsame, einfühlsame Erzählen einlässt, wird mit einer emotional ehrlichen Reise belohnt, deren leise Zwischentöne und Nuancen noch über den Abspann hinaus nachhallen.


"Im Rosengarten" startet ab dem 11. Dezember 2025 in den deutschen Kinos

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