Eva Victor erzählt in "Sorry, Baby" ein stilles, eindringliches Drama über Trauma, Freundschaft und Selbstbehauptung. Der Film folgt Agnes, die nach einem einscheidenden Erlebnis versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, und zeigt zugleich die enge Bindung zu ihrer langjährigen Freundin Lydie. Mit feinfühliger Kameraarbeit, präzisen Dialogen und subtiler Musikalität schafft Victor ein intensives Portät einer Frau, die zwischen Schmerz, Sarkasmus und der Suche nach Normalität navigiert. "Sorry, Baby" ist ein Film, der nicht laut werden muss, um tief zu treffen, und dabei die Kraft leiser Beobachtung spürbar macht.
Mit "Sorry, Baby" legt Eva Victor ein beeindruckend sensibles Regiedebüt vor, das leise, aber eindringlich die Folgen sexueller Gewalt, emotionaler Abhängigkeit und persönliche Neuorientierung erkundet. Statt eines klassischen Einstiegs wirft Victor das Publikum unmittelbar in das wiedervereinigte Zusammensein zweier Freundinnen, deren Beziehung von Nähe, Humor und unausgesprochenem Schmerz geprägt ist. Durch diese Nähe entsteht ein Gefühl von Intimität, das der Zuschauer sofort in Agnes' Perspektive zieht. Die Kapitelstruktur des Films spiegelt auf subtile Weise Agnes' zerrissene Erinnerungen, ihr wechselndes Zeitgefühl und die Brüche in ihrem Alltag wider. Dadurch vermittelt Victor nicht nur einen tiefen Einblick in ihre innere Welt, sondern erlaubt auch, die Schwere und die Komplexität ihrer Erfahrungen langsam zu begreifen, während das Publikum behutsam in die psychologische Tiefe der Figur eingeführt wird.
Schon im ersten Kapitel, zeigt sich, dass "Sorry, Baby" durch behutsames Beobachten erzählt, nicht durch erklärende Dialoge. Agnes und Lydie (Naomi Ackie) liegen entspannt auf der Couch, lachen, sprechen über Beziehungen, alltägliche Sorgen und kleine intime Geheimnisse, die nur Freundinnen teilen. Diese scheinbar beiläufigen Momente sind voller Wärme, und die Kamera fängt sie mit großer Sensibilität ein: mal eng an den Gesichtern, um jede Regung sichtbar zu machen, mal aus der Distanz über die Körper schwebend, um die räumliche Beziehung und die emotionale Verbindung zwischen den Figuren zu betonen. Die typische A24-Bildsprache verleiht dem Film einen Ton, der sofort fesselt und eine subtile Intensität aufbaut: alltäglich, zerbrechlich und doch von stiller Bedeutung, wodurch der Zuschauer direkt in Agnes' und Lydies Welt hineingezogen wird. Jede Geste, jedes Lachen und jedes Schweigen trägt Gewicht und vermittelt bereits in diesen ersten Minuten das komplexe Geflecht aus Nähe, Vertrautheit und unausgesprochenem Schmerz.
Doch unter der Oberfläche bricht etwas auf. Beim Abendessen mit alten Studienfreunden zerreißt die scheinbare Wohlfühlatmosphäre abrupt, als Agnes Ziel ungerechtfertigter Kritik wird. Victor zeigt hier erstmals die bröckelnden Ränder ihrer Figur: Agnes versucht Haltung zu bewahren, während innerlich längst Risse entstehen. Der Film bleibt dabei konsequent leise, kein musikalischer Kommentar, keine aufdringliche Inszenierung von Schmerz. Stattdessen sprechen Blicke, Gesten und Körperhaltung für sich und machen die innere Zerrissenheit von Agnes unmittelbar spürbar.
Im nächsten Kapitel entfaltet sich rückblickend, was Agnes' Leben bis in die Gegenwart prägt. Die Distanzaufnahme des Hauses ihres Professors (Louis Cancelmi), während draußen das Licht langsam verglüht und die Stunden still vergehen, gehören zu den eindringlichsten Szenen des Films. Victor verzichtet bewusst auf jede direkte Darstellung der Tat. Der Horror entsteht aus Leere, aus Zeit, aus Schweigen, aus der Spannung, die zwischen Zuschauer und Leinwand entsteht. Was folgt, ist eine der intensivsten Passagen des gesamten Films: Agnes berichtet Lydie von der Vergewaltigung in einer einzigen, langen Einstellung, ohne Musik, ohne Ablenkung. Die emotionale Offenheit, mit der Victor diese Szene spielt, ist nahezu greifbar, und gerade durch die unprätentiöse Darstellung wirkt das Geschehen unerträglich nah, fast so, als könnte man die Verzweiflung der Figur physisch spüren.
Danach begleitet "Sorry, Baby" Agnes durch ein Leben, das äußerlich weiterläuft, während sie innerlich stillzustehen scheint. Victor tastet sich behutsam an Themen wie Verdrängung, latente Angstzustände und die Frage, wie man nach einem traumatischen Einschnitt den Alltag wieder ordnet. Immer wieder zeigt sich Agnes' Überlebensmechanismus in Form eines trockenen, beinahe sarkastischen Humors, der nie zynisch wirkt, sondern wie ein letzter Rest Selbstschutz. Besonders die Szene beim Arzt überzeugt durch ihre feine Balance aus Schmerz, Absurdität und emotionaler Überforderung. Ein Moment, der gleichzeitig verstört, Mitgefühl erzeugt und die innere Zerrissenheit der Figur greifbar macht.
Immer wieder schimmert die Kritik an gesellschaftlichen Erwartungen durch: Agnes soll funktionieren, auftreten, lehren, Entscheidungen treffen, während sie innerlich mit einer Instabilität ringt, die kaum jemand bemerkt. Zugleich behandelt der Film leise Fragen nach Identität. Agnes' Kleidungsstil, ihre Haltung, ihre subtilen Signale im Umgang mit Geschlechterbildern werden zu Indikatoren eines Menschen, der sich neu sortiert, ohne explizit darüber zu sprechen. Victor lässt Deutungsspielräume bewusst offen und schafft so, eine vielschichtige Figur, die nicht festgelegt, sondern in ständiger Entwicklung bleibt.
Im letzten Kapitel schließt "Sorry, Baby" den emotionalen Kreis. Lydie kehrt zurück, diesmal mit Baby und eigener Familie, und bringt eine neue Lebensrealität mit, die Agnes konfrontiert, aber nicht überwältigt. Die Begegnung ist von Wärme und subtiler Vertrautheit geprägt, bleibt jedoch nie romantisiert und überhöht. Victor zeigt eindrucksvoll, dass Freundschaft auch dann fortbestehen kann, wenn Lebenswege auseinandergehen, Prioritäten sich verändern und neue Verantwortlichkeiten entstehen. In diesen ruhigen Momenten offenbart sich die Stärke der Beziehung zwischen Agnes und Lydie: ein Band, das Zeit, Distanz und persönliche Veränderungen überdauert, getragen von Respekt, Empathie und gemeinsamen Erinnerungen.
Kurzfazit: "Sorry, Baby" ist kein Film, der fertige Antworten liefert. Er beobachtet, hört zu und lässt Raum für eigene Empfindungen. Eindrucksvoll gespielt, sensibel inszeniert und getragen von einem außergewöhnlichen Gespür für Zwischentöne, entfaltet der Film eine intensive emotionale Wirkung. Auch wenn der Mittelteil zeitweise an Wucht verliert, bleibt das Gesamtbild stark: ein stilles, klug beobachtetes Drama über Trauma und die fragile Hoffnung auf einen Neuanfang.
"Sorry, Baby" startet ab dem 18. Dezember 2025 in den deutschen Kinos.

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